Im Havelberger Stadtbild verankert

Havelberg und Russland: Bündnis von 1716 brachte beiden Ländern großen Nutzen

Wer heute durch die beschaulichen Straßen von Havelberg schlendert, ahnt vielleicht nicht, dass sich hier vor über 300 Jahren ein Stück europäische Geschichte abspielte, das bis heute nachwirkt.

Verbindung zwischen Havelberg und Russland

Die Verbindung zwischen Havelberg und Russland ist ein faszinierendes Kapitel, das von großen Monarchen, politischen Allianzen, legendären Tauschgeschäften und lokalen Anekdoten erzählt. Dieser Artikel nimmt dich mit auf eine Zeitreise ins frühe 18. Jahrhundert – und zeigt, wie Havelberg zum Schauplatz weltpolitischer Ereignisse wurde.

Der Große Nordische Krieg und das Treffen der Mächtigen

Um die Bedeutung von Havelberg in der Geschichte Russlands und Preußens zu verstehen, lohnt ein Blick auf den Großen Nordischen Krieg (1700–1721). In diesem Konflikt kämpften zahlreiche europäische Mächte, darunter Russland und Preußen, gegen das damals mächtige Schweden um die Vorherrschaft im Ostseeraum.

Zar Peter I., besser bekannt als Peter der Große, hatte das Ziel, Russland zu einer europäischen Großmacht zu machen und Zugang zur Ostsee zu sichern. Friedrich Wilhelm I. von Preußen, der „Soldatenkönig“, suchte nach Verbündeten, um seine Macht zu festigen und das preußische Heer zu stärken.

Im November 1716 wurde Havelberg zum Schauplatz eines historischen Treffens

Zar Peter der Große reiste mit großem Gefolge an, um sich mit Friedrich Wilhelm I. zu beraten. Die Begegnung fand in der Propstei unterhalb des Havelberger Doms statt – ein Ort, der bis heute eine besondere Aura ausstrahlt. Die Stadt war tagelang im Ausnahmezustand: Der russische Hofstaat, preußische Offiziere, Diplomaten und zahlreiche Schaulustige verwandelten Havelberg in einen internationalen Treffpunkt.

Propstei Havelberg

Die Propstei ist heute nicht mehr ein Aushängeschild der Stadt. Drumher befinden sich mit Dom, Gärten- und Spielplätze und Restaurants wunderbare Aufenthaltsorte.

Ein legendäres Tauschgeschäft:

Das Bernsteinzimmer und die „Langen Kerls“

Das Treffen von 1716 ist vor allem wegen eines legendären Geschenkaustauschs in die Geschichte eingegangen. Friedrich Wilhelm I. überreichte dem Zaren das berühmte Bernsteinzimmer – ein Meisterwerk aus Bernstein, Gold und Spiegeln, das ursprünglich für das Berliner Stadtschloss geschaffen worden war.

Peter der Große war von dem Kunstwerk so beeindruckt, dass er es unbedingt für seinen neuen Palast in St. Petersburg haben wollte. Der preußische König zeigte sich großzügig und schenkte das Bernsteinzimmer dem Zaren.

Langer Kerl Schwerid Rediwanoff, preußischer Gardesoldat

Bernsteinzimmer Havelberg ➡️ Russland ∙ Foto der ab 1976 angefertigten Replikation. Das Original ist seit 1945 verschlossen. Florstein, Wikimedia Commons, CC BY-SA 4.0

Doch was bekam Preußen im Gegenzug?

Zar Peter revanchierte sich mit einem Geschenk, das perfekt zum „Soldatenkönig“ passte: 200 russische Grenadiere, sogenannte „Lange Kerls“, die das berühmte preußische Garderegiment verstärken sollten. Diese Soldaten mussten eine Mindestgröße von 1,88 Metern haben – eine stattliche Erscheinung in einer Zeit, in der der Durchschnittsmann deutlich kleiner war. Die „Langen Kerls“ wurden in Preußen fast wie Exoten behandelt und waren ein Prestigeobjekt des Königs.

Bernsteinzimmer Havelberg - Russland

Schwerid Rediwanoff aus Moskau ➡️ 1 von 200 „Langen Kerls“ die nach Preußen kamen ∙ Bild Wikimedia Commons, gemeinfrei

Dieses Tauschgeschäft – Bernsteinzimmer gegen „Lange Kerls“ – ist bis heute in Havelberg präsent. Seit 2015 stehen auf dem Domplatz zwei lebensgroße Bronzefiguren, die Zar Peter und Friedrich Wilhelm I. im Gespräch zeigen. Zwischen ihnen befindet sich eine runde Tafel, die an das Bernsteinzimmer erinnert. Die Skulpturen sind ein beliebtes Fotomotiv und ein lebendiges Symbol für die Verbindung zwischen Havelberg und Russland.

Dom Figuren in Havelberg

Friedrich Wilhelm I von Preußen im Vordergrund mit Blick auf den Havelberger Dom und Zar Peter I von Russland. Die Figuren sollen in Lebensgröße geschaffen sein, so dass man sich beim Foto gut daneben stellen kann. Wer ist größer?
Im Jahr der Bundesgartenschau 2015 konnte man für 2 Euro eine Postkarte kaufen, in dem man die Münze auf Brusthöhe in die Figur einwarf. Dieser Mechanismus funktioniert heute leider nicht mehr. Allerdings freuen sich gelegentlich Havelberger Kinder, wenn sie im Auswurfbehälter eingeworfenes Kleingeld finden.
Havelberger Postkarten findet man auf der Altstadinsel bei der Post oder Fritz Kühn.

Anekdoten, Legenden und lokale Geschichten

Rund um den Besuch des Zaren ranken sich zahlreiche Anekdoten, die bis heute in Havelberg erzählt werden. So soll Peter der Große, der für seine Neugier und seine Vorliebe für Handwerk bekannt war, nicht nur die Werft in Havelberg besichtigt, sondern sogar eigenhändig an einer Galionsfigur für ein Schiff gearbeitet haben. Ob diese Seejungfrau tatsächlich von Zar Peter geschnitzt wurde, ist historisch nicht belegt – aber die Geschichte wird gerne erzählt und spiegelt den Respekt wider, den die Havelberger dem russischen Gast entgegenbrachten.

Seejungfrau Havelberg

Die Seejungfrau, die der Erzählung nach vom späteren Zar Peter der Große geschnitzt wurde, verschwand 1945. Ein Nachbau hängt heute an selbiger Stelle in der Havelstraße 44. Seit einigen Jahren kann man in diesem Gebäude hochwertige Ferienwohnungen anbieten.

Eine weitere Anekdote berichtet davon, wie die Frau des Bürgermeisters sich entschuldigte, dem Zaren nur Fisch servieren zu können. Peter, ein Freund einfacher Speisen, soll daraufhin die Havelberger Fischsuppe gelobt und mehrfach nachgenommen haben. Solche Geschichten zeigen, wie das große Weltgeschehen und das lokale Leben in Havelberg aufeinandertrafen.

Auch der russische Hofstaat hinterließ in Havelberg bleibenden Eindruck. Zeitgenössische Berichte schildern die prunkvollen Uniformen, die fremdartigen Sitten und die ausgelassenen Festmähler, bei denen es nicht immer gesittet zuging. Es heißt, dass die Gespräche zwischen Zar und König zeitweise ins Stocken gerieten, weil der Wein zu gut und die Stimmung zu ausgelassen war.

Die „Konvention von Havelberg“: Ein Bündnis mit Folgen

Das Treffen von 1716 war nicht nur ein gesellschaftliches Ereignis, sondern hatte auch weitreichende politische Folgen. In der sogenannten „Konvention von Havelberg“ besiegelten Preußen und Russland ihr Bündnis gegen Schweden. Dieses Abkommen wurde 1718 noch einmal erneuert und trug dazu bei, dass Schweden seine Vormachtstellung im Ostseeraum verlor. Für Russland bedeutete dies den Aufstieg zur europäischen Großmacht – ein Ziel, das Peter der Große mit aller Konsequenz verfolgte.

Havelberg wurde so zum Symbol für die europäische Diplomatie des 18. Jahrhunderts. Die Stadt war nicht nur Zeuge, sondern aktiver Teil eines politischen Prozesses, der die Landkarte Europas nachhaltig veränderte. Das Bündnis zwischen Preußen und Russland blieb über viele Jahrzehnte bestehen und prägte die Geschichte beider Länder.

Erinnerung und Gegenwart: Havelberg als Ort der Begegnung

Die Verbindung zwischen Havelberg und Russland ist bis heute im Stadtbild und im kollektiven Gedächtnis lebendig. Die Bronzestatuen auf dem Domplatz erinnern an das Treffen der Monarchen und sind ein Ausdruck des Selbstbewusstseins der Stadt, die stolz auf ihre Geschichte blickt. Auch der Heimatverein und die lokale Geschichtsschreibung pflegen das Andenken an diese außergewöhnliche Episode.

Havelberg besuchen

Auch die heutige Hansestadt Havelberg wird gerne besucht. Geschichte kann man im Prignitz-Museum am Dom und die Natur im Haus der Flüsse entdecken. Oder einfach die Kombination von Natur und Ruhe in kleinstädtischen Zusammenhang genießen.

Für Besucher bietet Havelberg die Möglichkeit, auf den Spuren von Zar Peter und Friedrich Wilhelm I. zu wandeln. Der Dom, die Altstadt, der Domplatz mit den Skulpturen und der Kräuter- und Blumengarten sind lohnende Ziele für alle, die sich für Geschichte und europäische Kultur interessieren.

Tipp für Besucher

Wer Havelberg besucht, sollte sich Zeit nehmen, die Atmosphäre auf dem Domplatz zu genießen, die Geschichten der Stadtführer zu hören und vielleicht bei einer Fischsuppe in einem der Restaurants an die legendären Begegnungen von 1716 zu denken.

Frage an uns Havelberger:

In welchem Restaurant bekommt man noch eine Fischsuppe?

Rückblick: Die Geschichte von Havelberg und Russland ist ein faszinierendes Beispiel dafür, wie eine kleine Stadt zum Schauplatz großer Politik werden kann. Sie zeigt, wie Diplomatie, persönliche Begegnungen und lokale Geschichten zusammenwirken – und wie diese Verbindungen bis heute das Bild einer Stadt prägen.

Quellenverzeichnis

  • Caspar, Helmut: „Bernsteinzimmer gegen Lange Kerls“, Berliner Zeitung, 2016
  • Wikipedia: Bernsteinzimmer
  • Wikipedia: Havelberg
  • Volksstimme: „Zar Peter trifft den Preußenkönig am Dom“, 2016
  • Heimatverein Havelberg: „Vereint im Kampf gegen Schweden“
  • Volksstimme: „Der Zar – Legende und Wahrheit“, 2015
  • Preußische Geschichte online: „Konvention von Havelberg“

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